Wie kommt meine Unterhose ins Hessische Landesmuseum Darmstadt?

Im Jahr 1994 gab es einen ungewöhnlichen Aufruf des Hessischen Landesmuseum Darmstadt.  Jede Bürgerin und jeder Bürger konnte sich eine vorne offene Holzkiste im Museum abholen und sollte diese nach eigenem Gusto gestalten.

Die Aktion hieß “Museum der Erinnerung” und die gestalteten Kisten wurden  zu einem bestimmten Zeitpunkt zurück geben und anschließend im Landesmuseum ausgestellt. Jeder Aussteller sollte auch einen Begleittext fertigen, in dem er anonym etwas zu seinem Exponat berichten konnte. Dieser Text wurde im Ausstellungsraum zur Lektüre ausgelegt. 

Es kamen 204 Kisten zusammen und diese wurden in einem großen Raum zu einem monumentalen Karée aufgetürmt.

Ein paar Freunde und ich haben uns auch je eine Kiste geholt und wollten natürlich auch dabei sein. Nun stand die leere Kiste in meiner Wohnung und das Einzige was mir fehlte, war eine Idee, was ich denn überhaupt ausstellen wollte. 

Nach langem überlegen hatte ich beschlossen, ich stelle meine lange grüne Unterhose aus meiner Bundeswehrzeit aus. Die grüne Unterhose ist deshalb grün, damit man beim Wechsel der Unterwäsche unter feindlichem Beschuss nicht so auffällt, wie es sonst mit der üblichen weißen Unterwäsche gewesen wäre. Die Unterwäsche durfte ich nach meiner Bundeswehr-Zeit mit nachhause nehmen, da nur Oberbekleidung zurück gegeben werden musste. 

Natürlich wollte ich mit der ausgestellten Unterhose provozieren und die Leute ein wenig empören. Ich spannte eine Leine von der linken zur rechten Wand der Box  und hing meine lange grüne Unterhose mit Wäscheklammern auf dieser Leine auf.

Später fasste ich den Entschluss, weitere Bundeswehr Erinnerungen in die Box aufzunehmen.

Meinen Wehrpass, ein Foto von mir in Uniform, meinen Spind-Schlüssel und meine Erkennungsmarke. 

Für den der es nicht weiß: Eine Erkennungsmarke ist eine Blechscheibe die durch eine Perforation in zwei Hälften aufgeteilt ist. Auf jeder der beiden Hälften steht das gleiche, die Wehrnummer, der Name und das Geburtsdatum.


Wenn ich nun als Soldat getötet werde, brechen Kameraden die Hälften auseinander, eine bleibt bei meiner Leiche und eine wird an die Vorgesetzten weiter geleitet, die dann meinen Eltern die Nachricht vom Tod ihres Kindes  überbringen lassen.

Da ich Brillenträger bin, gab es noch eine Spezialbrille mit Stoffbügeln. Diese trägt man unter der ABC-Schutzmaske (“Gasmaske”). Durch die Stoffbügel soll verhindert werden, das Giftgas oder Radioaktivität  an den Stellen eindringt, wo sonst der Metallbügel  einer normalen Brille zu Undichtigkeiten führen  würden.

Je länger ich mich mit meiner Box beschäftig habe, desto mehr wurde mir gewahr, dass alle dies Dinge mit dem Tod und zwar meinem Tod zusammen hingen.
So wurde aus dem Scherz,  den ich mir eigentlich machen wollte, nach und nach eine Auseinandersetzung mit meiner vergangenen Bundeswehrzeit.  Das war dann kein Scherz mehr.

Ich entfernte deshalb alle Utensilien wieder und bespannte die kahle Box innen mit roten Stoff. Dieser sollte mein Blut symbolisieren. Dann brachte ich die Leine und die Gegenstände wieder an und gab die Kiste zur Ausstellung.

Soweit ich es beurteilen kann, fand mein Exponat Aufmerksamkeit und mir hat es geholfen,  sich mit mir selbst und dem, was mit mir geschieht, besser auseinander zu setzen.

2 Antworten auf „Wie kommt meine Unterhose ins Hessische Landesmuseum Darmstadt?“

  1. Lieber Michael
    Das ist eine sehr persönliche, eindrückliche und bewegende Geschichte. Du nimmst mich als Leserin mit eine emotionale Reise. Du willst zuerst etwas Freches und Provokantes auszustellen, das dann zu einer kritischen Hinterfragung führt, die Du wiederum in Szene setzt. Deine Haltung Deinen grünen Militärunterhosen gegenüber haben sich vermutlich während vieler Jahrzehnte nicht geändert, doch durch dieses Projekt hast Du sie aus anderer Perspektive betrachtet. Herzlichen Dank für diese spannende und lehrreiche Geschichte!

    1. Guten Tag Iris, ich freue mich sehr über Deinen Kommentar. Ja Du hast recht, ich habe mich durch diese Aktion weiter entwickelt. Zur damaligen Zeit als junger “Bub” hat man das ja alles nicht hinterfragt und obwohl es so etwas wie Wehrdienstverweigerung natürlich gab, war es für mich damals keine Alternative. Man ist eben zur Armee gegangen, in Friedenszeiten Soldat zu sein ist ja auch nicht schwer. Diese Auseinandersetzung mit diesem Teil meines Lebens ist erst Jahre später erfolgt, bei der Bundeswehr war ich etwa 1973, die Museumsaktion war mehr wie 20 Jahre später. Aber besser spät wie nie! Herzliche Grüße aus Darmstadt! Michael

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